Meine Arbeit an der indigenen Schule “Mushuk Yachay”
- Trevor Flint
- 27. Okt. 2019
- 6 Min. Lesezeit
Auch wenn ihr ja bestimmt bereits wisst, dass ich meinen Freiwilligendienst an einer Schule mache und dort Englisch unterrichte, möchte ich meinen Arbeitsalltag und meine Erfahrungen einmal festhalten. Die ecuadorianische Schule ist nämlich etwas ganz anderes als das, was wir in der deutschen Schullaufbahn erlebt haben.
Zunächst einmal ein typischer Tagesablauf
Um 4:45Uhr klingelt mein Wecker zum ersten Mal, 10 Minuten später ein zweites Mal. Ich stehe auf und stelle mich unter die Dusche, was dank meiner kurz rasierten Haare ziemlich flott geht. Währenddessen wird meine Gastmutter wach, die sich dann auch mit dem Frühstück beschäftigt. Keine Sorge, sie möchte meine Hilfe nicht und so habe ich es aufgegeben, sie davon abzuhalten, nur für mich so früh aufzustehen. Mein Frühstück esse ich dann um ca. 5:30Uhr, bei dem ich mich sehr beeilen muss. Danach putze ich mir die Zähne, geh auf Klo und verlasse das Haus. Ich gleiche mit der Uhrzeit ab, wie schnell ich gehen muss. Verlasse ich vor 6Uhr das Haus, ist alles in Ordnung, nach 6Uhr ist da schon etwas kritischer. Ich laufe 15 Minuten zu meiner ersten Bushaltestelle und fahre in einem überfüllten Bus Richtung Norden. Ich steige aus und warte, meist mit meinen Kollegen, die ich dann treffe, auf den nächsten Bus, der den Berg hinauf zur Schule erklimmt. Der Bus ist voll mit meinen Schülern, die mich meist etwas schüchtern anlächeln.
7Uhr, der Unterricht beginnt. Eine Schulstunde geht auch hier 45 Minuten, normalerweise gibt es Doppelstunden. Die ersten beiden Stunden sind also schon um 8:30Uhr vorbei. Da hat der Unterricht am Georg-Büchner-Gymnasium, meiner alten Schule, gerade erst begonnen. Darauf folgen auch direkt die nächsten beiden Stunden.
10Uhr, die 30-minütige Pause fängt an und der halbe Schultag ist bereits um. Das der Unterricht hier so früh anfängt und es nur eine Pause gibt führt aber auch dazu, dass die Schule keine Kantine für Mittagessen bereitstellen muss, da die Schüler, und auch ich, zum Mittagessen nach Hause kommen. Um 10:30Uhr folgen dann in gleicher Prozedur weitere drei Stunden (bis zur zehnten Klasse) oder weitere vier für die drei Jahrgänge des “Collegio”, vergleichbar mit der Highschool in den Staaten oder den Abiturjahren in Deutschland. Normalerweise enden meine Stunden jeweils um 12Uhr, Dienstags unterrichte ich die ältesten Schüler, die dann bis 13:30Uhr Englisch haben.
Aus Sicherheitsgründen wird das Schultor über den Tag abgeschlossen und dann zum Schulschluss der jüngeren Schüler, um 12:45Uhr, geöffnet. Das bedeutet, dass ich nach dem Unterrichtende um 12Uhr etwas warte, bevor ich gehen kann. Diese Zeit nutze ich zur Unterrichtsvorbereitung oder auch einfach zum Austausch mit Kollegen, sodass ich das Schulgelände letztendlich nie vor 13Uhr verlasse.
Dann nehme ich drei verschiedene Busse zurück zu meiner Unterkunft, zu der ich ungefähr 60 Minuten brauche. Nachmittags nehme ich einen Bus mehr als morgens, weil ich etwas oberhalb der Stadt lebe und sonst jeden Nachmittag den Berg hochlaufen müsste. Da sind die 25ct Busgeld in meinen Augen eine gute Investition :)
Wie arbeite ich eigentlich?
Ich arbeite mit zwei Lehrerinnen zusammen. Maria arbeitet mit den jüngeren Schülern bis zur fünften Klasse und Lucia mit allen Älteren. Man wünscht sich von mir, dass ich mit jeder der ingesamt 15 verschiedenen Klassen (manche Jahrgänge bestehen aus mehr als einer Klasse) mindestens eine Stunde in der Woche verbringe. Das klappt auch, bis auf die Ausnahmen der 4. und 5. Stufe, die ich nicht unterrichte. Dennoch habe ich so einen vollgepackten Stundenplan. Wir sind in unseren Möglichkeiten sehr eingeschränkt, da wir in allen Jahrgängen ein unterdurchschnittlich schlechtes Englischlevel finden (gemessen an den Anforderungen des ecuadorianischen Bildungsministeriums und dem bereitgestellten Lehrmaterial, welches somit nicht nutzbar ist). Meine Schüler sind nicht in der Lage, einfachste Sätze selbstständig zu bilden und kennen bloß Grundvokabeln wie Zahlen, Farben oder Früchte. Das ist sehr schade. Darum müssen wir oft auf sehr einfache Lehrmethoden wie Malen, Singen oder Abschreiben zurückgreifen. Ich würde behaupten, dass unser Unterricht stets abwechslungsreich und interessant ist, wenn auch leider nicht immer sehr effizient.
Eine große Schwierigkeit besteht darin, jeden Schüler miteinzubinden.
Jede Klasse besteht nämlich aus ähnlichen Schülertypen. Da gibt es den einen Schüler, der alles versteht und beantworten kann, oft aber nicht mitarbeitet, weil ihm zu langweilig ist. Dann die “coolen Jungs”, die oft stören und sich daneben benehmen, meist aber viel Verantwortung in der Klasse haben und Englisch auch weitreichend verstehen. Außerdem gibt es eine Hand voll Schülerinnen, die sehr schüchtern und zurückhaltend sind, dann aber in Tests oder ähnlichem überraschen und zu guter Letzt den Rest der Klasse, der Englisch richtig scheisse findet und dementsprechend nicht mitmacht.
Unser Ziel ist es, mit ausgewählten Themen und Grundlagen der Grammatik den Kindern möglichst eine Chance zu geben, die englische Sprache wenigstens in Grundzügen anwenden zu können. Das klappt mit mäßigem Erfolg, weil die Arbeitsmoral und scheinbar auch das Erinnerungsvermögen der Kinder oft zu wünschen übrig lässt. Nicht selten wiederholen wir einen Inhalt nochmal in der nächsten Stunde, ohne einen Fortschritt oder eine Verbesserung zu bemerken.
Meine Meinung
Ich habe viel Spaß an der Arbeit und ein wirklich gutes Verhältnis zu den Schülern, die mich täglich freundlich grüßen und sich freuen, wenn wir in die Klasse kommen (diese Euphorie spürt man eher bei den jüngeren Schülern). Wir lachen viel und machen tolle Aktivitäten. Ich habe mich auch an die äußeren Umstände des Projekts gewöhnt. Das frühe Aufstehen, der Weg zur Arbeit und die schulische Einrichtung.
Doch leider werde ich auch enttäuscht. Vor allem Lucia und ich stecken viel Arbeit und Gedanken in den Unterricht, wir wollen den Schülern schlichtweg helfen. Dieser Aufwand wird selten belohnt. Wir verlieren viel Zeit durch Inaktivität oder Unterbrechungen, oft tun meine Schüler nur so, als würden sie arbeiten. Anstatt sich anzustrengen oder nachzudenken wird beim Nachbarn abgeschrieben, wichtiger scheint die Gestaltung einer kunstvollen Überschrift. Übersetzer auf dem Handy, die zum Nachschlagen einzelner Wörter gedacht sind, lösen für die Schüler ganze Aufgaben. Und die Bereitschaft, sich das Gelernte für wenige Minuten zuhause noch einmal ins Gedächtnis zu rufen, ist nicht existent.
Es gibt Lichtblicke, etwa wenn einzelne Schüler die Klasse um Ruhe bitten, aus Respekt zu mir und aus eigenem Interesse, doch das passiert leider selten. Die wenigen interessierten Schüler haben kaum Chancen, gegen die desinteressierte Mauer ihrer vielen Mitschüler anzureden.
Natürlich klingt das nun sehr niederschmetternd, und ich kann die Schüler auch gut verstehen. Ich war selbst vor wenigen Monaten noch ein Schüler, der auch kein Fan davon war, Schule an erster Stelle zu haben.
Ich habe die ecuadorianische Schule oft mit dem verglichen, was ich aus meiner Schulzeit in Deutschland kenne und mich gefragt, wie es meinen Lehrern damals ergangen ist. Ich glaube, dass diese Enttäuschung auch in gewisser Weise dazu gehört, denn es sind Kinder, die oft ohne Plan handeln oder einfach Spaß haben wollen. Mir ist allerdings aufgefallen, dass hier eine Sache fehlt. Eine Sache, die meine Schüler hier ganz entscheidend von mir und meinen Mitschülern in Deutschland unterscheidet. Und das ist Perspektive, die hier fehlt. Wir strengen uns in Deutschland an, um einen guten Abschluss zu machen und später glücklich und erfolgreich als Jurist, Mediziner oder internationaler Marketingchef zu enden. Wir wissen, dass diese Ziele schwer zu erreichen sind, aber wir stärken uns mit einer guten Ausgangslage, mit etwas, auf dem wir aufbauen können.
Diese Visionen oder Träume fehlen vielen Menschen hier in Ecuador. Der Wunsch nach mehr existiert natürlich auch hier, am anderen Ende der Welt, aber die Bereitschaft, Wünsche wahr zu machen, schwindet. Ich will nicht behaupten, das begründen zu können, aber mein Eindruck sagt mir, dass es so ist. Zumal die wenigstens hier die Möglichkeiten erhalten können, die wir in Deutschland alle als selbstverständlich betrachten. Viele reihen sich in den begrenzten Horizont der Eltern und deren Umfeld ein. Die voreingenommene Haltung, dass man es ohnehin nicht weit bringen würde, lässt auch die Lernbereitschaft schwinden. Es fehlt das “Wieso sollte ich?”
Ich glaube vielen jungen Menschen geht es so: Wieso sollte ich Englisch lernen, denn das braucht man ja nur in der großen weiten Welt, die ich nie besuchen werde.
Die meisten verlassen Ecuador nicht, und wenn doch, nur in die Nachbarländer, in denen jeder Spanisch und keiner Englisch spricht.
Den Türöffner Englisch sieht hier also niemand als solchen, sondern nur als Last.
Vielleicht findet sich ein Weg, den Kindern wenigstens kleine Anreize zu geben, um etwas größer zu denken, als sie es jetzt tun.
An dieser Stelle würde ich mich sehr über eure Ideen und Gedanken freuen, die ihr mir mitteilen könnt.
Mit lieben Grüßen aus der vielseitigen Schule "Mushuk Yachay"
Trevor
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