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Aufstände in Ecuador

  • Autorenbild: Trevor Flint
    Trevor Flint
  • 13. Okt. 2019
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 14. Okt. 2019

Ich möchte direkt klarstellen, dass es mir und den anderen Freiwilligen gut geht. Wir werden rund um die Uhr auf dem Laufenden gehalten und bekommen entsprechende Anweisungen und Tipps, damit wir stets sicher sind.

Seit dem 3.Oktober, also dem Tag der deutschen Einheit, ist in Ecuador nichts mehr wie es war.

Präsident Moreno hat einflussreiche Reformen durchgeführt. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat Bedingungen an Ecuador gestellt, um eine besagte Summe bereitzustellen. Kurz gesagt verlangt der IWF umfassende Sparmaßnahmen, damit Ecuador möglichst rückzahlungsfähig wird. Der Präsident entschied, gesetzliche Feiertage zu kürzen und die staatlichen Subventionen auf Benzin und Diesel zurückzuziehen. Diese seien nicht mehr tragbar. Allerdings waren diese Subventionen durchaus hoch, was bedeutet, dass der Preis für Benzin und Diesel schlagartig steigt. Anbieter schlagen den neuen Preis natürlich auf ihre Kunden um. Innerhalb kürzester Zeit hatten wir somit einen Preis, der mehr als doppelt so hoch war. Als Reaktion auf starke Proteste am 3.Oktober verhängte Moreno den Ausnahmezustand für 60 Tage. Dieser soll helfen, die Lage unter Kontrolle zu halten und erlaubt ihm, die Pressefreiheit einzuschränken und Streitkräfte einzusetzen. Faktisch fahren aber seit Tagen kaum noch Busse und Taxis, die den Transport in der Stadt eigentlich sehr leicht machen. Durch die neuen Preise und weitgehende Straßenblockaden können und wollen diese auch gar nicht fahren. Gleichzeitig schloss Moreno zur Sicherheit schulische Einrichtungen, somit war auch meine Arbeitsstätte nicht geöffnet. Dies ist bis heute, am 13.Oktober zumindest in der Sierra (Andenregion) unverändert. Quito liegt in der Sierra und somit kann ich seit 10 Tagen nicht mehr arbeiten gehen. Dies betrifft im ähnlichen Ausmaß alle anderen Freiwilligen im Land, vor allem uns in den großen Städten. In den folgenden Tagen wurde von einer großen Gruppe aufständischer Indigene berichtet, die gewaltbereit in Richtung Quito unterwegs sind, um zu protestieren. Sie gelten als gefährlich, weil ihre Handlungen unberechenbar seien und sie Gegner der Selbstjustiz unterziehen. Am Mittwoch, den 9.Oktober fand ein Generalstreik statt, bei dem die Arbeit weitreichend niedergelegt wurde und Großproteste stattfanden. Es ist ohnehin so, dass die wenigsten in der Lage sind, ihrer Arbeit ohne Einschränkung nachzugehen. Es geht also auch erheblich Arbeitskraft und somit Geld verloren.


Ich möchte mich nun aber mehr auf meine Erfahrungen und Gedanken konzentrieren. Ich habe so etwas noch nie erlebt. Das Ganze kam zudem sehr unerwartet. Dieses Ausmaß gab es in der Geschichte Ecuadors noch nie, vor allem sind die Gewaltbereitschaft und die Dauer der Proteste neu. Mich beschäftigt überwiegend eines: die Ungewissheit. Niemand, wirklich niemand scheint zu wissen, wie es weitergehen wird. Es ist keine Einigung in Sicht, Alltag gibt es momentan nicht und wir wissen auch nicht, was das für uns Deutsche bedeutet. Natürlich habe ich schon vorher die ein oder andere Krise miterlebt, aber keine war so nah wie jetzt. Mein Gastvater, ein Taxifahrer, ist unter den Protestierenden und blockiert mit seinen Kollegen Straßen. In Straßen und Gegenden die ich bereits mehrmals besucht habe brennen Reifen, fliegen Bomben oder Steine. Meine Gastfamilien (erkläre ich später) reden über nichts anderes mehr. Die sozialen Netzwerke sind voll mit verwackelten Videos, die zeigen, wie die Streitkräfte Demonstranten gewaltsam zurückschlagen. Kurz: Diese Krise ist das durchweg dominierende Thema. Das auswärtige Amt und meine Organisation im Land halten mich dauerhaft auf dem laufenden. Wir werden gebeten, möglichst nicht das Haus zu verlassen, Menschenansammlungen zu meiden und ständig in Kontakt mit den Koordinatoren zu bleiben. Genau das tue ich auch. Ich wohne weiter außerhalb in einem reinen Wohnviertel, nicht in der Nähe der Proteste im Süden. Auf Dauer ist mir aber ziemlich langweilig und es ist enttäuschend, wenn sogar ein kleiner Spaziergang durch den Park zu gefährlich sein könnte. Ich muss mich also irgendwie beschäftigen und Zeit tot schlagen, so konnte ich wenigstens vereinzelnd mit meinem Gastbruder kurz das Haus verlassen, um etwa einkaufen zu gehen. Meine Familie beschloss, die Stadt über das Wochenende Richtung Küste zu verlassen, weil es dort vielleicht etwas ruhiger ist und sie auch einfach Urlaub machen wollten. Ich durfte aber durch die Risiken der Reise nicht mit, immerhin wären wir 5 Stunden unterwegs gewesen. Die großen Autobahnen werden von Fernfahrern und Protestanten blockiert, sind somit nicht nutzbar. Da meine Gastfamilie aber bereits bezahlt hatte und auch darauf bestand, zu fahren, wurde ich kurzerhand einer anderen Familie in Quito zugewiesen, mit der ich dieses Wochenende verbracht habe. Vorsicht kommt vor Nachsicht. Ich bin also gar nicht traurig, hier zu sein. Ich durfte mit einer sehr netten und aufgeschlossenen Familie leben, die mich herzlich betreut hat. Es war interessant, eine andere Familie kennenzulernen. Die Zeit habe ich genutzt, um über das alles nachzudenken und diesen Text hier zu schreiben. Gestern, am 12.Oktober, gab es vielerorts Lebensmittelengpässe. Man bekam Milch, Fleisch oder Brot nur mit Glück. Auch fiel in einigen Straßen kurzzeitig die Wasserversorgung aus. Ich fahre heute Abend wieder ins Haus meiner eigentlichen Gastfamilie, die in der Nacht nach Hause kommt. Ob ich morgen zur Arbeit kann, ist ungewiss. Ich vermute aber, dass sich die Situation nicht genügend beruhigen wird und auch kaum Busse, mein Verkehrsmittel zur Arbeit, fahren werden.

Ich will hier nochmal erwähnen, dass ich in meiner Unterkunft sicher bin und es mir und den anderen Freiwilligen gut geht. Man muss sich keine Sorgen um uns machen! Wir erleben diese Situation alle zum ersten Mal und auch das sind Erfahrungen, an denen wir wachsen können. Auch will ich anmerken, dass die Informationen, die ich über die Ereignisse genannt haben, teilweise unvollständig seien können. Ich habe das, was ich aus Nachrichten und Erzählungen mitbekommen und verstanden habe zusammengefasst.


Update [14.10.2019]: In der Nacht auf den 14.Oktober fanden Verhandlung zwischen Protestanten und dem Präsidenten statt. Man einigte sich auf die Wiedereinführung der Subventionen. Somit sind keine weiteren Proteste in Sicht. Das ganze Land versucht nun möglichst schnell wieder in den Alltag zurückzufinden. Für mich bedeutet das, dass ich am Dienstag wieder arbeiten kann. Endlich!

 
 
 

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